Gemeinsam lernen in einem neuen Schulfach Ethik, Religionen und Weltanschauungen


Über diese Website - warum und wozu?

Mit dieser Website möchte ich Informationen und eigene Texte (konzeptionelle Vorschläge, Argumente, Erfahrungsberichte ...) zum Thema „Ethik und Religionskunde als Pflichtfach (auch) in der Grundschule“ zur Verfügung stellen, die im Zusammenhang mit meinem Engagement für eine Reform des schulischen Religionsunterrichts entstanden sind.

Ich unterrichte als Grundschullehrer seit 1985 auch das Fach Religion (Evangelische Religionslehre) und habe mich in den letzten Jahren intensiv mit einer Reform des schulischen Religionsunterrichts beschäftigt. Im Herbst 2009 stellte ich in einer Buchveröffentlichung einen Vorschlag zur Diskussion: Im Sinne einer zeitgemäßen Auslegung der Verfassungsbestimmung, wonach Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt wird (Art. 7,3 GG), sollten die Religionsgemeinschaften - so mein Vorschlag zur Überwindung der schon pädagogisch fragwürdigen konfessionellen Separierung  der Schülerschaft im Fach Religion - sich auf gemeinsame Grundsätze für einen allgemeinbildenden „Religionsunterricht für alle“ verständigen. (Gerd Laudert-Ruhm: Religion gemeinsam lernen. Anstöße zu einer überfälligen Reform. Patmos Verlag Düsseldorf, 2009)

Doch weder die Amtskirchen - auch nicht die offiziell mit Schulfragen befassten Experten in der EKD (evan-gelisch) und der DBK (katholisch) - noch die für die Aus- und Fortbildung von Religionslehrkräften zuständigen religionspädagogischen Institute zeigten eine erkennbare Bereitschaft, über einen überkonfessionellen und nicht nur zeitweise, sondern durchgängig gemeinsamen Religionsunterricht auch nur ernsthaft zu diskutieren. Diese fast schon demonstrative Gesprächsverweigerung (Text 4: Zwischenbilanz und persönliche Schlussfolgerungen) war für mich schwer nachvollziehbar. Sie erweckte in mir Zweifel daran, ob es den Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften im schulischen Religionsunterricht wirklich primär um religiöse Bildung geht - oder letztlich nicht doch mehr um „Kirche in der Schule“, um die konfessionelle Unterweisung und „Beheimatung“ ihrer (evangelischen bzw. katholischen - und demnächst auch einer muslimischen?) Schüler-klientel.

So wandte ich mich ab Ende 2010 dem in meinem Buch als „zweitbeste Lösung“ bezeichneten Reform-Modell zu: dem Konzept eines gemeinsamen Pflichtfaches „Ethik und Religionskunde“. Zudem konzentrierte ich mich jetzt stärker auf den Grundschulbereich und auf Niedersachsen.

In einem nicht theologisch, sondern philosophisch und religionswissenschaftlich konzipierten, religiös-weltan-schaulich neutralen Schulfach „Ethik und Religionskunde“ (bzw. „Ethik, Religionen und Weltanschauungen“), einem durchaus werteorientierten, aber im Gegensatz zum konfessionellen RU nicht bekenntnisgebundenen Unterricht, könnten Schülerinnen und Schüler gemeinsam ein Basiswissen über Ethik, Religionen und Weltanschauungen erwerben und zugleich den Umgang mit religiös-weltanschaulicher Heterogenität, die an unseren Schulen ja längst Realität ist, konkret einüben. - Der konfessionelle Religionsunterricht auf der Grundlage des Artikels 7,3 GG bliebe davon unberührt und könnte wie bisher (bzw. als ein „konfessionell-kooperativer“ RU) fortbestehen, er würde künftig aber zusätzlich erteilt werden und könnte den verpflichtenden Ethik/Religionskunde - Unterricht sinnvoll ergänzen.

Für dieses Reformmodell fanden sich engagierte MitstreiterInnen insbesondere bei den niedersächsischen Bündnisgrünen, die sich intern schon seit längerer Zeit (in diversen Landesarbeitsgemeinschaften: LAG Christinnen und Christen bei Bündnis 90/Die Grünen / LAG Schule / LAG Staat und Weltanschauung ...) mit dieser Thematik beschäftigt hatten, und bei bildungspolitisch engagierten Verbänden wie der GEW, dem nds. Fachverband Werte und Normen und dem Grundschulverband.

Im November 2011 fassten die Grünen auf ihrem Landesparteitag in Verden - im Vorfeld der niedersächsischen Landtagswahlen, die im Januar 2013 stattfinden werden - einen programmatischen und weitreichenden Beschluss (Text 9)  zur Reform des Religionsunterrichts in Niedersachsen:

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Religionsbezogene Bildung  (hier nur als Auszug, Hervorhebungen von mir, G.L.)

Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen werden gemeinsam in einem Pflichtfach unterrichtet. Im Mittelpunkt steht das Kennenlernen von unterschiedlichen religiösen u. weltanschaulichen Orientierungen mit dem Ziel, für eine persönliche Entscheidung Kenntnisse zu erwerben und im Diskurs mit Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern eine eigene Position zu entwickeln (...)

Nach wie vor wird konfessionsgebundener Unterricht angeboten, an dem die Schülerinnen und Schüler freiwillig und ergänzend zum Pflichtunterricht „Religionen und Weltanschauungen“ teilnehmen können.

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Dieser Beschluss wird nicht nur Bestandteil des Wahlprogramms der Grünen im Blick auf die bevorstehende Landtagswahl sein, er wird im Falle eines Wahlsieges bzw. einer rot-grünen Regierungskoalition nach dem Januar 2013 auch auf deren bildungspolitischer Agenda stehen. - Ich würde mich freuen, wenn die Texte und Hintergrund-Informationen auf dieser Website mit dazu beitragen könnten, dass der Parteitagsbeschluss von Verden nicht nur inhaltlich noch etwas verständlicher und nachvollziehbarer wird, sondern politisch - durch eine Mehrheitsentscheidung im niedersächsischen Landtag - tatsächlich auch umgesetzt werden kann. Dass diese Umsetzung ein langer und noch sehr arbeitsreicher Weg sein wird, erkennt man schon daran, dass ein Schulfach "Ethik, Religionen und Weltanschauungen" (oder wie immer es letztlich heißen wird) im Blick auf den zentralen religionskundlichen Aspekt dieses Unterrichtsfaches eine gänzlich neue - nämlich eine religions-wissenschaftliche - Fachdidaktik bzw. Lehrerausbildung voraussetzt.

Dies gilt umso mehr für den Grundschulbereich und für Länder wie Niedersachsen, denn hier gibt es (wie noch in den meisten alten Bundesländern) neben dem konfessionellen RU kein ethisch-religionskundliches Bildungs-angebot für nicht-christliche bzw. konfessionslose GrundschülerInnen, d.h. für fast ein Drittel der Schülerschaft, und folglich auch keine religionswissenschaftlich ausgebildeten Lehrkräfte. Das Alternativ-Fach „Werte und Normen“ wird in Niedersachsen erst ab Klasse 5 angeboten; zudem wurde dieses Fach jahrzehntelang gegenüber dem konfessionellen Religionsunterricht in vielfacher Hinsicht benachteiligt.

So freue ich mich als Grundschullehrer besonders darüber, dass das neue Pflichtfach „Religionen und Weltanschauungen“ bereits ab der 1. Klasse eingerichtet werden soll. Vor allem dafür hatte auch ich mich mit Nachdruck eingesetzt.


Allerdings gibt es in Niedersachsen (und nicht nur dort) strukturelle und personelle „Beharrungskräfte“ sowohl in den Kirchenleitungen als auch, oft in Personalunion, in Parteien und Verbänden, nicht zuletzt in den zuständigen Ministerien - das zeigen erste öffentliche Stellungnahmen zum Parteitagsbeschluss der Grünen sehr deutlich („Landesbischof pocht auf Religionsunterricht“ / CDU-Ministerpräsident McAllister kritisiert die „Herabstufung“ des konfessionellen Religionsunterrichts: „Wir sind da fundamental anderer Auffassung ... Wir stehen an der Seite der christlichen Kirchen in dieser Frage“ / CDU-Landesgeschäftsführer: „Religionsunterricht steht in Niedersachsen nicht zur Debatte.“)

Leider finden sich in diesen Stellungnahmen auch Aussagen, die zum einen sachlich nicht zutreffende, zumindest unzulässig verkürzende Behauptungen enthalten. (So spricht nicht nur der Hannoversche Landes-bischof von der „Einführung eines weltanschaulichen Pflichtfaches“ - im Verdener Beschluss ist von einem Unterricht über „Religionen und Weltanschauungen“ die Rede.  Der amtierende Justizminister, CDU, lässt verlauten: „Ich halte das nicht für verfassungskonform“ - wohl wissend, dass ein Ethik-Pflichtfach laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.03.2007 ausdrücklich nicht gegen Verfassungsbestimmungen verstößt). Zum anderen schrecken manche Kritiker auch nicht davor zurück, den Beschluss der Grünen in polemischer Absicht und wider besseres Wissen in ein falsches Licht zu rücken („Die Grünen entkoppeln sich immer mehr von unserem Wertekanon“ so CDU-MdL Ansgar Focke ...  Der „Angriff“ der Grünen auf den RU offenbare „ein tiefes Misstrauen gegen die Anschauung der Religion und der Kirchen“ ...  Der Beschluss seiein Schlag ins Gesicht der großen Mehrheit unserer Bevölkerung“ / Auch Bernd Busemann, CDU, derzeitiger Justiz- und vormals Nds. Kultusminister, meint „vor kirchenfeindlichen Tendenzen bei den Grünen“ warnen zu müssen.

Dies könnte - so ist zu befürchten - ein Vorgeschmack darauf sein, dass im bevorstehenden Landtagswahl-kampf, auch wenn sicher andere Themen im Vordergrund stehen werden, über das Thema „Religion an öffentlichen Schulen“ zumindest zeitweise ähnlich heftig - und z.T. auch so polemisch - gestritten werden könnte wie vor wenigen Jahren in Berlin, wo Anfang 2009 unter den Schlagzeilen „Pro Reli“ vs. „Pro Ethik“ eine hitzige Debatte über eben diese Thematik entbrannt war. Aus diesem Grund, und weil es bei der berühmten Gretchen-Frage („Sag, wie hast du´s mit der Religion?“) ohnehin um ein komplexes und sensibles Thema geht, über das differenziert und substantiell zu diskutieren viel Sachwissen erfordert, ist es vielleicht hilfreich, auf allgemein verständlich formulierte, wenn auch pointiert Stellung beziehende Texte zurückgreifen zu können, wie ich sie auf dieser Website zur Verfügung stellen möchte.

Ein weiteres Motiv für die Einrichtung dieser Website ist mein Wunsch, mich ab 2012 aus persönlichen Gründen von meinem in den letzten drei Jahren zeitweise recht arbeitsintensiven Engagement in Sachen RU-Reform zurückzuziehen, und auch, weil ich mich künftig verstärkt neuen Interessen und Neigungen widmen möchte.

Ich werde diese Website daher nicht regelmäßig (vielleicht aber gelegentlich) aktualisieren. Die hier zusammen-gestellten Artikel und Infos verstehe ich als einen von meiner Seite aus erst einmal abgeschlossenen Texte- und Argumente- Fundus (Stand etwa Ende 2011), durch dessen Veröffentlichung ich meine bisher in schriftlicher Form vorliegenden konzeptionellen Überlegungen zur RU-Reform, vorwiegend aus den Jahren 2008 bis 2011, allen am Thema Interessierten möglichst übersichtlich und leicht zugänglich zur Verfügung stellen bzw. zum kritisch-konstruktiven Weiterdenken anbieten möchte.

Abschließend möchte ich noch um Verständnis dafür bitten, dass sich bei der hier vorgelegten Zusam-menstellung von thematisch ähnlich gelagerten Texten inhaltliche Überschneidungen und z.T. auch Wieder-holungen nicht immer vermeiden ließen.


Walsrode, im Januar 2012

Gerd Laudert